Regressansprüche bei Vernachlässigung von Kontrollpflichten im Gefahrenbereich

Zu glauben oder zu hoffen, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin den Gefahrenbereich einer Maschine, von der eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht, verlassen hat, reicht für Arbeitsschutzverantwortliche nicht aus. Sie müssen sich aktiv vergewissern, dass die Person den Gefahrenbereich verlassen hat. Andernfalls drohen Regressansprüche gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII.

§ LG Itzehoe, Grund- und Teilurteil vom 16.02.2024 – Az. 3 O 159/22

Der Entscheidung des Landgerichts (LG) Itzehoe liegt ein sehr tragischer Arbeitsunfall innerhalb eines Sicherheitsbereichs zugrunde. Bekanntermaßen sehen die Arbeitssicherheitsbestimmungen vor, dass gefährliche Maschinen heutzutage „eingehaust“ – also mit einem Sicherheitskäfig ummantelt – werden. Dies verhindert, dass die Beschäftigten in den Gefahrenbereich der Maschine gelangen und sich dadurch verletzen. Solche ausreichend gesicherten Maschinen sind indes unvermeidbar irgendwann Störungen ausgesetzt oder bedürfen einer Wartung. Dann muss der Sicherheitskäfig geöffnet werden und Menschen begeben sich in den Käfig hinein und damit in die unmittelbare Nähe zur gefährlichen Maschine. In diesem Fall begab sich der später Geschädigte – in Kenntnis seines Vorgesetzten – wegen einer Störung in den Käfig zwecks Reparatur. Der Vorgesetzte fand die Käfigtür geöffnet vor (wobei umstritten war, ob der Schädiger zuvor den Maschinenbereich überhaupt verlassen und erst nach wenigen Minuten zurückgekehrt war), verschloss die Käfigtür und setzte die Maschine in Gang. Der Monteur befand sich noch innerhalb des Käfigs und wurde durch die Maschine sehr schwer verletzt. Die zuständige Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall des Monteurs als Arbeitsunfall an und nimmt nun den die Käfigtür schließenden Vorgesetzten gemäß § 110 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII auf Ersatz der Aufwendungen und zugunsten des Geschädigten in Anspruch.

Das LG Itzehoe bejahte einen solchen Anspruch dem Grunde nach (die Höhe soll später in einem Betragsverfahren geklärt werden). Diese Entscheidung stützte es auf zwei Gesichtspunkte: Wenn der Vorgesetzte den Versicherungsfall des Monteurs dadurch verursacht hätte, dass er nach dem wahrgenommenen Betreten des Sicherheitskäfigs durch den Monteur den Käfig sofort einfach abgeschlossen und die Maschine gestartet hat, – von diesem Vorgang ist das LG überzeugt (!) – hat er mindestens grob fahrlässig gehandelt. Doch auch wenn man der Schutzbehauptung des Vorgesetzten folgen würde, wonach er den Arbeitsbereich kurz verlassen und erst nach einigen Minuten wieder aufgesucht habe, dann die Sicherheitstür unverschlossen vorgefunden, sie geschlossen und die Maschine gestartet habe, weil er geglaubt habe, der Monteur habe den Sicherheitskäfig bereits verlassen, läge grobe Fahrlässigkeit, die den Versicherungsfall des Monteurs verursacht habe, vor. Denn unstreitig hat der Vorgesetzte wahrgenommen, dass sich der Monteur zuvor in den Sicherheitskäfig begeben hat, um dort die Reparatur vorzunehmen. Ihm war auch die Funktionsweise der Maschine bekannt und damit die Tatsache, dass die Arbeit innerhalb des Sicherheitskäfigs während des laufenden Betriebs erhebliche Gefahren für Leib und Leben mit sich brachte und es deshalb untersagt war, dass menschliche Arbeiten innerhalb des Käfigs stattfinden, wenn die Maschine läuft. Dass ihm dies bewusst war, habe sich auch dadurch gezeigt, dass er sich bei der Rückkehr zum Käfig vergewissert habe, dass sich darin niemand mehr befinde. Die vom Vorgesetzten diesbezüglich geschilderte Art und Weise seines Vorgehens war jedoch – wie das LG überzeugend festgestellt hat – leichtfertig.

Der Vorgesetzte hatte nämlich in seiner persönlichen Anhörung geschildert, dass er mit dem später Geschädigten zu dem Sicherheitskäfig gegangen sei, ihm dann Material überreicht habe und zur Schaltzentrale zurückgekehrt sei. Zwei bis drei Minuten später sei er wieder zum Käfig gegangen und habe die noch geöffnete Tür gesehen. Er habe „Vorsicht oder Achtung“ gerufen, habe dann die Tür verschlossen und den Schlüssel umgedreht, da er niemanden in dem Käfig gesehen habe.

Schon in diesen Schilderungen sah das LG zu Recht einen objektiv groben Sorgfaltsverstoß, der zum Versicherungsfall geführt und auch subjektiv unentschuldbar sei. Denn der Sicherheitskäfig ist von der Tür aus zumindest weitgehend einsehbar. Wegen der Kenntnis vom vorherigen Betreten des Käfigs durch den Monteur sei vom Vorgesetzten beim Vorfinden der Situation mit der geöffneten Käfigtür eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich gewesen. Er hätte sich vergewissern müssen, ob sich der Monteur – wie es letztlich der Fall war – doch noch im Sicherheitskäfig und damit im Gefahrenbereich befand. Das bloße (behauptete) Rufen von Achtung oder Vorsicht mindert die Pflichtverletzung des Vorgesetzten nicht. Denn dies war, auch wegen des üblichen höheren Lautstärkepegels in der Werkhalle, offensichtlich ungenügend zur Gefahrenvorbeugung.

Die stets zu treffende Einzelfallentscheidung, ob nun grobe Fahrlässigkeit vorlag oder nicht, kann hier dergestalt verallgemeinert werden, dass sich für den Arbeitsschutz Verantwortliche, die positiv wissen, dass sich ihre Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen in einem Gefahrenbereich befinden oder begeben haben, vor der Wiederinbetriebnahme von Maschinen – von denen eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht – auch positiv davon überzeugen müssen, dass diese den Gefahrenbereich wieder verlassen haben. Es reicht nicht aus, zu glauben oder zu hoffen, dies sei geschehen. Genau darin liegt (über den Einzelfall hinaus, in dem der Regressanspruch durchgesetzt werden konnte) der Wert dieser landgerichtlichen Entscheidung. Nämlich das zu verschriftlichen, was jeder und jedem unmittelbar einleuchtet. Wer seine Kolleginnen oder Kollegen in/an Arbeitsbereiche schickt, in/an denen sich große Gefahren realisieren können, darf den letzten Schritt, das Wiedereinschalten von gefährlichen Maschinen, erst durchführen, wenn sich die Mitarbeitenden positiv festgestellt wieder aus dem Gefahrenbereich hinausbegeben haben. Wer dies anders handhabt, wird erfolgreich gemäß § 110 SGB VII in Regress genommen werden können. 

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.