Es ist unzulässig, Widerspruch per einfacher E-Mail einzulegen

Das in § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 36a Abs. 2 SGB I geregelte Formerfordernis, wonach nur ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, die gesetzlich angeordnete Schriftform wahrt, verstößt weder gegen das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung noch gegen den verfassungsrechtlichen Förderauftrag von Art. 3 Abs. 3 GG.

§ Hessisches LSG, Urteil vom 18.10.2023 – L 4 SO 180/21

Die Beteiligten, ein örtlicher Träger der Sozialhilfe und ein 1962 geborener, alleinstehender Fachjournalist für IT-Technik mit einem festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 70 und Merkzeichen „G“, streiten in diesem Rechtsstreit um die Form der elektronischen Kommunikation. Der Kläger, Bezieher einer Rente wegen Erwerbsminderung, hatte in einem Verfahren um die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII gegen einen ihm erteilten Leistungsbescheid Widerspruch mittels einfacher E-Mail eingelegt. Nachdem der Sozialhilfeträger ihm mitgeteilt hatte, dass eine Widerspruchseinlegung per einfacher E-Mail unzulässig sei, weil sie nicht den Anforderungen an eine die Schriftform ersetzende qualifizierte elektronische Signatur entspreche, legte der Kläger fristwahrend Widerspruch per Fax ein. Dieser als zulässig erachtete Widerspruch wurde durch einen Widerspruchsbescheid des Sozialhilfeträgers als unbegründet zurückgewiesen, der nunmehr mit dem Ausgangsbescheid Gegenstand eines mittlerweile im Berufungsverfahren schwebenden Gerichtsverfahrens ist.

Mit der Klage im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger den Beklagten zu verpflichten, mit ihm generell – auch bei formgebundenem Schriftverkehr, wie zum Beispiel bei der Einlegung von Widersprüchen – per einfacher E-Mail zu kommunizieren. Er argumentierte, er sei nicht in der Lage, einen Briefkasten oder eine Postfiliale aufzusuchen, und könne auch seine Wohnung nicht mehr verlassen. Mit dem Verlangen, elektronisch nur noch mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu kommunizieren, werde die Kommunikation massiv erschwert, anstatt eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Dies benachteilige ihn in seinen Rechten und Ansprüchen als behinderter Mensch im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) und im Sinne des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK).

Beide Gerichte, das Sozialgericht (SG) Kassel sowie das Hessische Landessozialgericht (LSG), wiesen die Klage des schwerbehinderten Klägers unter Verweis auf die gesetzlichen Formvorschriften des § 36a SGB I zurück. Diese würden nur im formgebundenen Schriftverkehr gelten, wo die Schriftform durch eine elektronische Form nur ersetzt werden könne, wenn die E-Mail eine qualifizierte elektronische Signatur enthalte. Soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehre, mit ihm außerhalb des formgebundenen Schriftverkehrs per einfacher E-Mail zu kommunizieren, sei die Klage bereits unzulässig, da dem Kläger nicht generell jegliche Kommunikation per einfacher E-Mail verwehrt werde, sich diese vielmehr in der Vergangenheit zwischen den Beteiligten bewährt habe und praktiziert worden sei.

Mit dem Bestehen auf dem gesetzlich vorgesehenen Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur für den formgebundenen Schriftverkehr werde der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Bei der elektronischen Übermittlung von rechtserheblichen Schriftsätzen, für die ein gesetzliches Schriftformerfordernis bestehe, müsse sichergestellt sein, dass nur solche Schreiben als zulässig gewertet werden, aus denen sich klar ergibt, dass sie von der betreffenden Person stammten und willentlich in den Verkehr gebracht worden sind.

Auch das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG stehe dem gesetzlich zwingenden Erfordernis eines qualifizierten elektronischen Übertragungsweges nicht entgegen, da außerdem noch immer die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs oder anderer Rechtsmittel per Fax bestünde. Der aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie der nach Art. 13 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bestehenden Verpflichtung, Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zur Justiz zu gewährleisten, folge keine Notwendigkeit, dem Kläger die Kommunikation im formgebundenen Schriftverkehr per einfacher E-Mail zu ermöglichen. Selbst vor dem Hintergrund der vom Kläger geltend gemachten tatsächlichen Schwierigkeiten und aufzuwendenden Kosten, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, erscheine die alternative Möglichkeit der Einlegung per Fax als ausreichendes Äquivalent, um die Wahrung seiner Rechte zu gewährleisten.

Da die Zulassung der Widerspruchseinlegung oder anderer Rechtsmittel per einfacher E-Mail in der Rechtsprechung und der Literatur allgemein abgelehnt wird (vgl. nur BeckOK SozR/Gutzler, Stand 01.12.2023, SGB I § 36a Rn. 47; zahlreiche Nachweise auch in der hier besprochenen Entscheidung des LSG), bestanden hier nur geringe Erfolgsaussichten für den Kläger, sein Anliegen unter Berücksichtigung der bestehenden Behinderung und seiner Bedürftigkeit durchzusetzen. Der Kläger, dem die Rechtsmitteleinlegung per Fax von zu Hause aus (von ihm auch unbestritten) möglich war, verfügte über einen zumutbaren und zur Wahrung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz ausreichenden alternativen Übertragungsweg, der die Schriftform wahrt. Dies ist trotz fehlender Erwähnung in § 36a SGB I, auf den hier für die Widerspruchseinlegung § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verweist, allgemein anerkannt und auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist das (respektive auch Computer-)Fax als zulässiger Weg für die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze (BVerfG, Beschluss vom 01.08.1996 –1 BvR 121/95, NJW 1996, S. 2857) erachtet worden. Allerdings besteht anders als für die Eröffnung des Kommunikationsweges per E-Mail (hier seit dem 01.07.2014 durch § 2 Abs. 1 Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung, EGovG) keine gesetzliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines solchen Übertragungsweges. Angesichts der historischen Bedeutung, die dem Fax im Schriftverkehr insbesondere auch von Anwälten mit Gerichten und Behörden zukommt, wird man Behörden und Gerichte für verpflichtet halten dürfen, wegen der geringen Verbreitung der elektronischen Signatur nach wie vor ein Faxgerät zum Empfang schriftlicher Erklärungen bereitzuhalten. 

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.