Die Karten werden neu gemischt: Was erwartet uns mit den Europawahlen 2024?

In knapp zwei Monaten ist es so weit: Vom 6. bis 9. Juni 2024 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament in den Mitgliedstaaten statt. Dann haben rund 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Europa die Möglichkeit, die Zukunft Europas mitzubestimmen und insgesamt 720 Europaabgeordnete zu wählen, darunter auch 96 aus Deutschland. Aber das ist nicht alles. Nach den Wahlen folgt die Neubesetzung der Europäischen Kommission und auch die Präsidentschaftsposten der EU-Institutionen werden neu vergeben.

Gerade in diesem Jahr stehen die Wahlen besonders im Fokus, da mit einem politischen Rechtsruck zu rechnen ist. Dieser würde die Agenda der EU in der kommenden Legislaturperiode maßgeblich beeinflussen. Die Parteien am rechten Rand scheinen nach aktuellen Prognosen aber nicht nur im Europäischen Parlament ihren Einfluss ausbauen zu können. Vielmehr ist auch mit Blick auf zahlreiche Wahlen in verschiedenen Mitgliedstaaten im Jahr 2024 mit einer Verschiebung der Kräfte im Rat zu rechnen.

Aktuell findet der Wahlkampf statt, den alle proeuropäischen Parteien mit Spitzenkandidatinnen und ‑kandidaten führen. Gemäß dem Spitzenkandidatensystem übernimmt nach der Wahl auf Vorschlag des Europäischen Rates diejenige Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat die Präsidentschaft der Europäischen Kommission, die oder der eine Mehrheit im Parlament hinter sich versammeln kann. Das Verfahren fand erstmals 2014 Anwendung, als Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) Präsident der Europäischen Kommission wurde. Es ist allerdings nicht in den Verträgen verankert. So konnte 2019 Ursula von der Leyen Kommissionpräsidentin werden, obwohl sie nicht als Spitzenkandidatin kandidiert hatte.

Reform der EU-Verträge diskutiert

Bemerkenswert ist, dass auf EU-Ebene das Prinzip der Diskontinuität, das zum Beispiel für den Deutschen Bundestag gilt, keine Anwendung findet. Damit gilt für anhängige Verfahren im Europäischen Parlament, dass bereits vor den Europawahlen durchgeführte Abstimmungen im Plenum in der nachfolgenden Legislaturperiode rechtsgültig bleiben und die Arbeit an den Dossiers von den neuen Abgeordneten weitergeführt werden muss. Für Rechtsvorschriften, die das Plenum vor den Europawahlen nicht erreicht haben, sieht die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vor, dass die Konferenz der Präsidenten – Parlamentspräsidentin oder ‑präsident und die Fraktionsvorsitzenden – beschließen kann, die begonnene Arbeit an diesen Dossiers fortzusetzen.

Nicht nur inhaltlich, sondern auch mit Blick auf die geplante EU-Erweiterung wird die neue Legislaturperiode mit Spannung erwartet. Im Kontext der Erweiterungspläne wird eine Reform der EU-Verträge diskutiert, um die Handlungsfähigkeit der EU zu erhalten. In diesem Zusammenhang hat sich der Europäische Rat vorgenommen, bis Sommer 2024 Schlussfolgerungen zu einem Fahrplan für die künftige Arbeit anzunehmen. Das Europäische Parlament hatte bereits im Jahr 2022 Vorschläge für eine Vertragsreform ausgearbeitet. Im November 2023 wurde eine entsprechende Entschließung angenommen. Die Vorschläge des Parlaments sind dabei durchaus weitgehend und reichen von der Änderung von Einstimmigkeit zu qualifizierter Mehrheit im Rat im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik über die alleinige Zuständigkeit der Union für Umwelt, biologische Vielfalt und Klima bis hin zur Verkleinerung des Kollegiums der Kommissarinnen und Kommissare. Im Bereich der Gesundheitspolitik schlägt das Europäische Parlament die geteilte Zuständigkeit für bestimmte Fragen der öffentlichen Gesundheit vor. Darüber hinaus soll laut den Reformvorschlägen die Rolle der Sozialpartner bei der Vorbereitung von Initiativen in den Bereichen Sozial-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gestärkt werden.

Mit der Verabschiedung der Entschließung hat das Europäische Parlament formell den ersten Schritt zur Änderung der Verträge gemacht. Als Nächstes muss der Rat diese Entwürfe an den Europäischen Rat übermitteln, der dann mit einfacher Mehrheit einen Konvent einberufen kann. Es bleibt abzuwarten, ob und wann der Europäische Rat diesem Ruf folgt.