„Je früher die Verkehrserziehung beginnt, desto besser“

Wie können Eltern ihre Kinder gut auf die Teilnahme am Straßenverkehr vorbereiten? Wie kann der Weg zu Kita und Schule aktiv und sicher gestaltet werden? Ein Interview mit Manfred Wirsch, Vorstandsvorsitzender der DGUV und Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR).

Die sichere Teilnahme am Straßenverkehr ist eine wichtige Fähigkeit für Kinder und Jugendliche. Welche grundlegenden Fertigkeiten sollten Eltern ihren Kindern vermitteln, um deren Verkehrssicherheit zu gewährleisten?

Wirsch: Zunächst ist es wichtig, bereits mit den Kleinsten den Straßenverkehr aktiv zu gestalten. Mit den Kindern Rad fahren, sie an ein Laufrad oder Roller gewöhnen, sodass sie bereits von klein auf selbstständig unterwegs sind. So lernen sie den Umgang im Straßenverkehr, können sich Fähigkeiten aneignen und diese stetig weiterentwickeln. Schon auf dem Laufrad lernen (Klein-)Kinder zum Beispiel, das Gleichgewicht zu halten, und sie sehen, wie ihre Eltern sich im Straßenverkehr verhalten.

Denn: Kinder adaptieren das Verhalten ihrer Eltern und ahmen dieses nach. Dazu gehören das richtige Überqueren von Straßen, das Erkennen von Gefahren und die Einschätzung von Verkehrssituationen. Besonders wichtig ist es, den Kindern die Bedeutung sicherer Querungsmöglichkeiten zu vermitteln. Dazu zählen insbesondere Ampeln und Zebrastreifen sowie die Sicherheitsregel, dass auch bei „Grün“ oder auf dem Überweg auf den motorisierten Verkehr geachtet werden muss.

Welche Rolle spielen Eltern und Erziehungsberechtigte in der Verkehrserziehung?

Wirsch: Je früher sie damit beginnen, desto besser kommen die Kinder gut im Straßenverkehr zurecht. Der sich immer weiter entwickelnde Verkehr verlangt allen viel Aufmerksamkeit ab, besonders aber Kindern. Deshalb ist es wichtig, Kinder aktiv einzubeziehen, ihnen zuzuhören und mit ihnen gemeinsam zu planen.

Gut ist es, wenn Kinder selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen und weniger als Mitfahrende transportiert werden. Durch das Selbstfahren bekommen sie die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten selbst auszubauen. Je öfter sie das tun, desto schneller lernen sie und können sich allein sicher im Straßenverkehr bewegen.

Im Dezember 2022 ist Manfred Wirsch zum Präsidenten des DVR gewählt worden. | © Jan Röhl/DGUV
Im Dezember 2022 ist Manfred Wirsch zum Präsidenten des DVR gewählt worden. ©Jan Röhl/DGUV

Welche Empfehlungen gibt der DVR für Eltern, um den Schulweg ihrer Kinder sicher zu gestalten, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Straßenverkehr und mögliche Gefahrenstellen?

Wirsch: Vor der Einschulung muss der Weg geübt und mehrfach gemeinsam abgefahren oder abgelaufen werden. Im Idealfall bestreitet das Kind selbstständig das Tempo und den Weg. Dann fühlen Kinder sich sicher. Es ist wichtig, auf potenzielle Gefahrenstellen hinzuweisen und Verhaltensregeln im Straßenverkehr zu besprechen. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass der Schulweg möglichst sicher und gut beleuchtet ist.

Beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule verändert sich meist der Weg enorm. Lag die Grundschule noch fußläufig entfernt, fahren viele Kinder dann einen längeren Weg. Auch hier sollte man gemeinsam im Vorfeld den Weg bestreiten oder auf der Karte schauen, welches der sichere und bessere Weg ist. Man sollte die Kinder gut darauf vorbereiten. Die Teilnahme am Mischverkehr birgt Risiken und man kann diese im Vorfeld bereits großflächig ausräumen. Viele Kommunen veröffentlichen Schulwegpläne. Manchmal gilt auch: Der kürzeste Weg ist nicht unbedingt der sicherste Weg.

Ein Helm gehört beim Laufrad, Roller- und Fahrradfahren dazu. Was ist Ihre Botschaft an Eltern und Kindern, um sie davon nachhaltig zu überzeugen?

Wirsch: Das Tragen von Fahrradhelmen reduziert die Verletzungsgefahr bei Unfällen erheblich. Unser persönliches Verhalten kann einwandfrei sein. Doch im Straßenverkehr haben wir es auch mit Menschen zu tun, die abgelenkt, unaufmerksam oder schlicht rücksichtslos unterwegs sind. So kommt es zu Unfällen, auch wenn wir selbst äußerst vorsichtig sind. Deshalb ist es so wichtig, einen Helm zu tragen, denn der Helm kann vor schweren Verletzungen schützen. Heute tragen deutlich mehr Erwachsene einen Fahrradhelm als noch vor 30 Jahren. Eltern, Erziehungsberechtigte und Großeltern sollten als Beispiel vorangehen und ebenfalls ihren Helm aufsetzen.

Gibt es spezielle Empfehlungen oder Richtlinien für Eltern im Umgang mit digitalen Medien im Kontext der Verkehrserziehung?

Wirsch: Moderne Technologien, insbesondere Smartphones, können Ablenkungen im Straßenverkehr verursachen. Eltern sollten mit ihren Kindern über die Gefahren von Ablenkung sprechen und klare Regeln für die Nutzung digitaler Geräte im Straßenverkehr aufstellen. Grundsätzlich sollten Augen und Ohren frei für den Verkehr sein.

Welche Maßnahmen werden empfohlen, um die Verkehrssicherheit von Kindern und Jugendlichen zu fördern?

Wirsch: Fahrrad fahren im Unterricht und Ausflüge außerhalb der Kita und Schule sind ein wichtiger Teil der schulischen Verkehrserziehung. Kitas und Schulen können aber dennoch nur einen begrenzten Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Hier sind die Eltern gefragt! Oftmals in Eile bringen die Eltern ihre Kinder im Auto, im Fahrradanhänger oder im Kinderwagen in den Kindergarten oder in die Schule. Diese Jahre sind aber für die Kinder sehr wichtige Jahre, um die Teilnahme am Straßenverkehr in ihr Leben zu integrieren.

Eine Kitaleitung aus Berlin bringt es auf den Punkt: „Die Verkehrserziehung beginnt bei Ihnen zu Hause. Sie leben den Kindern vor, wie man sich im Straßenverkehr verhält. Geben Sie Ihren Kindern den Raum, sich aktiv am Straßenverkehr zu beteiligen! Gehen Sie gemeinsam zu Fuß, fahren Sie gemeinsam Fahrrad, sprechen Sie beim Autofahren darüber, was auf dem Fußweg und auf der Straße passiert! Ihre Kinder werden Ihnen Fragen stellen. Beantworten Sie diese!“ 

Das Interview führte Seema Mehta.