Erkennen und Bewältigen von Einsamkeit im betrieblichen Kontext

Dauerhafte Einsamkeit steht im Zusammenhang mit psychischen und körperlichen Erkrankungen. Da Ursachen und Auswirkungen auch im betrieblichen Kontext zu finden sind, sollten sich Betriebe mit dem Thema auseinandersetzen. Es werden verschiedene Ansätze der Prävention, Früherkennung und Intervention vorgestellt, die im betrieblichen Kontext Anwendung finden können.

Einsamkeit ist kein neues Phänomen, aber das Bewusstsein für das Thema ist durch die COVID-19-Pandemie gestiegen. Es existieren in der Forschung unterschiedliche Definitionen von Einsamkeit.[1] Nach Perlman und Peplau[2] erleben Menschen Einsamkeit, wenn sie ihre sozialen Beziehungen als qualitativ oder quantitativ unzureichend empfinden. Dies betrifft sowohl die Beziehungen im privaten als auch im beruflichen Bereich und ist nicht allein durch das Vorliegen von objektiver Isolation erklärbar. Es geht also ausschließlich um die selbst eingeschätzte Situation. Das macht es wiederum schwierig, denn man sieht einem Menschen die Einsamkeit nicht an. Durch Stigmatisierung der Betroffenen und deren eigene Schamgefühle wird Einsamkeit häufig tabuisiert und nicht angesprochen.[3]

Tritt Einsamkeit gelegentlich auf, kann dies als eine Aufforderung verstanden werden, etwas zu tun, beispielsweise wieder mehr soziale Kontakte zu pflegen. Einsamkeitsgefühle können somit auch eine Schutzfunktion haben.[4] Hält Einsamkeit über einen längeren Zeitraum an, wird sie neben psychischen Erkrankungen[5][6] wie Depressionen[7][8], Demenz[9] oder Angststörungen[10] auch mit körperlichen Erkrankungen[11] wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen[12] in Zusammenhang gebracht. Des Weiteren ist Einsamkeit mit einer früheren Sterblichkeit assoziiert.[13][14] Problematisch ist, dass einsame Menschen lange Zeit kaum auffällig werden. Zudem ist bekannt, dass das Krankheitsbild vieler psychischer und körperlicher Erkrankungen oft mit Verhaltensweisen oder Gefühlen einhergeht, die zu Einsamkeit führen.[15] Häufig geraten Betroffene deshalb in einen Teufelskreis aus Einsamkeit und Erkrankungen, aus dem sie nur schwer ohne externe Hilfe herauskommen.[16] [17]

Selbst wenn die Ursachen für Einsamkeit nicht nur im Kontext der Arbeit zu finden sind, wirken sich die Folgen auf das berufliche Umfeld aus, wie durch verringerte Leistung oder Fehlzeiten.[18] Neben der nüchternen Betrachtung der Kosten, die das verursacht, bleibt bei Ausfall Arbeit liegen. Mitarbeitende leiden dann womöglich nicht nur unter Mehrarbeit, sondern der Rückzug von Kolleginnen und Kollegen bedeutet auch für sie einen Kontakt oder ein informelles Gespräch weniger. Nicht zuletzt führen auch Veränderungen in der Arbeitswelt zu Bedingungen, die Alleinsein und Einsamkeit verstärken können, beispielsweise durch weniger Zusammenarbeit aufgrund technischer Entwicklungen, häufigerer Wechsel des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin, neuer Arbeitsformen[19] oder der vermehrten Arbeit im Homeoffice.

Vorgehen und Fragestellungen der Literaturrecherche

Anhand einer systematischen Literaturrecherche wurden sowohl wissenschaftliche als auch praxisorientierte Veröffentlichungen, nationale und internationale Publikationen ab dem Jahr 2000 sowie klassische Werke vor 2000 zum Umgang mit Einsamkeit im betrieblichen Kontext gesucht, die sich um eine oder mehrere der folgenden Fragestellungen drehen:

  1. Hat sich die Prävalenz von Einsamkeit in den vergangenen Jahren in Deutschland verändert? Welche Effekte zeigen sich speziell durch die COVID-19-Pandemie?
  2. Ist das Problem Einsamkeit in Betrieben oder öffentlichen Einrichtungen bekannt?
  3. Welche Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen sind in Betrieben installiert? Welche Tools zur Erkennung von Einsamkeit stehen zur Verfügung?
  4. Welche Strukturen und Hilfsangebote können im Betrieb genutzt werden, um betroffene Beschäftigte am Arbeitsplatz zu identifizieren und zu unterstützen?

Prävalenz – wer ist von Einsamkeit betroffen?

Exakte Zahlen zur Verbreitung von Einsamkeit sind schwierig zu ermitteln und Schätzungen zur Prävalenz oft nicht gut vergleichbar.[20] Im European Loneliness Survey 2022[21], einer Erhebung der Einsamkeit in den Ländern der EU, liegt Deutschland im mittleren Bereich: Demnach fühlten sich 13 Prozent der Befragten dauerhaft einsam. In den Jahren 2008 bis 2017 gaben nur acht bis neun Prozent an, langfristig einsam zu sein. Einsamkeitsgefühle haben also seit der COVID-19-Pandemie zugenommen, aber noch ist unklar, wie sich die Prävalenzen weiterentwickeln.

Einsamkeit kann durch bestimmte Auslöser und Risikofaktoren bei manchen Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit als bei anderen entstehen.[22] Auslöser können bestimmte Lebensereignisse oder Lebensphasenübergange sein, wie Umzug, Scheidung, Krankheit oder Tod von nahen Angehörigen. Ob solche Auslöser zu Einsamkeit führen, ist abhängig von den individuellen Risikofaktoren.[23] Junge (< 25 Jahre), aber auch ältere Erwachsene (> 65 Jahre) sind beispielsweise häufiger von Einsamkeit betroffen. Zudem sind Erkrankungen und allgemein eine schlechtere mentale und körperliche Gesundheit häufiger mit Einsamkeit assoziiert. Zu umweltbezogenen Risikofaktoren zählen Digitalisierung und Einsamkeit am Arbeitsplatz.

Bekanntheit und Prävention von Einsamkeit

Berufstätige Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit am Arbeitsplatz, der somit ideale Voraussetzungen bietet, um auf das Thema aufmerksam zu machen und präventiv zu agieren. Derzeit scheint Einsamkeit in deutschen Betrieben allerdings noch wenig bekannt zu sein, auch wenn gesicherte Studien dazu fehlen. Um einer Vereinsamung von Beschäftigten entgegenzuwirken, stehen Unternehmen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um jede und jeden Einzelnen im Blick zu behalten und die sozialen Beziehungen im Team zu stärken. Als grundlegende Präventionsmaßnahmen haben sich Informieren und Kommunizieren auf unterschiedlichen Ebenen bewährt. Ein offener und regelmäßiger Austausch führt zur Bildung eines Kohärenzgefühls und senkt das Risiko für die soziale Isolation der einzelnen Teammitglieder.

Eine weitere Möglichkeit ist die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen, beispielsweise Aufgaben so zu verteilen, dass sie regelmäßige Abstimmungen und soziale Kontakte erfordern. Das legt bereits wichtige Grundlagen, mit dem Kollegenkreis verbunden zu bleiben.[24] Unterstützen können Unternehmen dies, indem sie sowohl Zeiten als auch Räume für offizielle sowie inoffizielle Meetings und Zusammenkünfte zur Verfügung stellen. Insbesondere für Beschäftigte im Homeoffice können Arbeitgebende die erforderliche Hard- und Software für soziale Interaktionen bereitstellen sowie deren Nutzung aktiv fördern. Da ein hohes Maß an organisatorischer sowie kollegialer Unterstützung im Arbeitskontext einen Schutzfaktor bezüglich Einsamkeit darstellt[25] [26], können Unternehmen demnach durch verschiedene Maßnahmen ein Gefühl der Zugehörigkeit, Kameradschaft und Verbundenheit unter den Mitarbeitenden schaffen, um Einsamkeit am Arbeitsplatz entgegenzuwirken.

Früherkennung von Betroffenen

Erste (mögliche) Anzeichen von Einsamkeit sind schwer exakt zu definieren. Aufgrund der häufigen Komorbiditäten mit psychischen und körperlichen Erkrankungen finden sich bei einsamen Menschen auch typische Anzeichen für psychische Erkrankungen. Allgemein können Gefühle der Überforderung und Machtlosigkeit, Desinteresse, Angst des Übergangenwerdens, Alkoholismus und andere Suchtproblematiken, Übergriffigkeiten, Leistungsabfall sowie vermehrte Krankheitstage auf Einsamkeit hinweisen.[27] Durch die starke Stigmatisierung und Schamgefühle der Betroffenen ist es auch sehr wahrscheinlich, dass Betroffene ihren Zustand bedeckt halten und lange Zeit nicht auffällig werden. Führungskräfte und Teammitglieder können sich jedoch mit folgenden Fragen[28] behelfen:

  • Haben einzelne Mitarbeitende auffällig wenig Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen?
  • Gibt es Mitarbeitende, die nie in Erscheinung treten und sich stets zurücknehmen?
  • Essen manche Mitarbeitende immer allein zu Mittag?
  • Welche Mitarbeitenden beteiligen sich nie an Teamaktivitäten/Besprechungen?

Spezielle Angebote für von Einsamkeit Betroffene

Für bereits Betroffene empfiehlt es sich, niedrigschwellige inner- und außerbetriebliche Hilfsangebote verfügbar zu machen, beispielsweise durch professionelle interne oder externe Gesprächs- oder Coachingangebote.[29] Hier können bestehende genutzt und ausgebaut, gegebenenfalls aber auch neue geschaffen werden. Durch das starke Stigma[30], das dem Thema anhaftet, ist es generell ratsam, sehr behutsam vorzugehen.

Zu den wichtigsten Faktoren, die vor Einsamkeit schützen, gelten ein zufriedenstellendes Beziehungsnetzwerk, eine positive Situationsdeutung und die Entwicklung von Sinn sowie ein starkes Selbstwirksamkeitserleben. Für Menschen, die sich nur manchmal oder nur leicht einsam fühlen, können Interventionen, die diese Faktoren fördern, bereits sehr hilfreich sein. Sie profitieren vor allem von Maßnahmen der sozialen Aktivierung und Unterstützung sowie der Erweiterung der Möglichkeiten für soziale Interaktionen.[31] So kann ein Betrieb viele Anlässe bieten zusammenzukommen, formell wie informell. Hilfreich sind auch Programme zur Stressbewältigung und -prävention sowie zur Förderung der Work-Life-Balance, ergänzt um individuelle Beratungsangebote im persönlichen Gespräch, per Telefon oder Videokonferenz im Rahmen eines Employee Assistance Programs (EAP) oder betrieblicher Sozialberatung.[32] Solche Angebote umfassen üblicherweise psychologische oder soziale Beratungen zu arbeitsbezogenen, aber auch privaten Themen.

Für Personen, die schon lange einsam sind, braucht es anfangs viel Empathie und Hilfestellung, in einem geschützten Rahmen wieder Vertrauen in die Mitmenschen zu erhalten, kommunikatives und soziales Verhalten (wieder) zu erlernen und die eigene Selbstwirksamkeitserwartung beim Aufbau und Halten von sozialen Beziehungen zu stärken.[33] In der Regel werden Unternehmen und Einrichtungen hier an ihre Grenzen stoßen. Wichtig ist zu erkennen, wann professionelle Hilfe erforderlich ist, und dann an die entsprechenden Fachstellen weiterzuvermitteln. In einer professionellen Therapie werden auf der Individualebene maladaptive soziale Kognitionen bearbeitet und soziale Fähigkeiten verbessert.[34]

Wie bei anderen Themen auch sollte Einsamkeit nicht nur als Einzelthema betrachtet, sondern bestenfalls in eine Strategie, beispielsweise im Rahmen eines umfassenden Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), eingebunden werden. Um der Entstehung und Verstetigung von Einsamkeit bei Beschäftigten vorzubeugen, braucht es Maßnahmen für Einzelne, Teams, Abteilungen sowie den gesamten Betrieb. Geeignete Maßnahmen sollten zur Aufklärung und Enttabuisierung, Prävention, Früherkennung sowie Intervention beitragen. Momentan gibt es noch keine speziellen Tools für Betriebe, sodass zum aktuellen Zeitpunkt jeder Betrieb selbst entscheiden und erproben muss, welche Maßnahmen passen könnten. Mit begleitenden Evaluationsstudien sollte dann die Wirksamkeit im Einzelnen und als Gesamtkonzept überprüft werden.

Schlussfolgerungen

Die Prävention von dauerhaften Einsamkeitsgefühlen sollte als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden werden, die alle betrifft und für die alle gemeinsam die Verantwortung übernehmen können. Organisationen können hier von einem verstärkten Fokus auf das Thema seit der Pandemie profitieren. Einsamkeit darf nicht länger ein Tabuthema sein und muss nicht nur im öffentlichen Bewusstsein, sondern auch in der Arbeitswelt stärkere Beachtung finden. Es gilt, einerseits den Betrieb als sozialen Ort zu etablieren, der als Ressource dient, um hier soziale Beziehungen zu finden und zu stärken. Andererseits scheint der Arbeitsplatz ein geeigneter Ort zu sein, um Menschen mit Angeboten zur Prävention und Interventionen gegen Einsamkeit erreichen zu können. Zukünftig sollten weitere konkrete Praxisempfehlungen formuliert und Handlungshilfen zur Verfügung gestellt werden.

Hinweis

Der Originaltext erscheint unter: Rahnfeld, M. & Stieler, L.: Erkennen und Bewältigen von Einsamkeit im betrieblichen Kontext. In: Zeitschrift Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin (ASU) Zeitschrift für Prävention, Ausgabe 04/2024.

Die vollständige Liste der verwendeten Literatur kann bei den Autorinnen angefragt werden.