„Besonders betroffen sind Personen, die im Freien arbeiten“

Mehr Pollenflug, mehr Stechmücken und Zecken – die Auswirkungen der Klimaveränderungen sind vielfältig, das Risiko, an Allergien zu erkranken, nimmt zu. Wo sind neue Gefahren absehbar und wie können Beschäftigte an Arbeitsplätzen besser geschützt werden?

Frau Prof. Dr. Raulf, haben Sie grundsätzlich den Eindruck, dass mögliche und bereits spürbare Folgen des Klimawandels in der Arbeitswelt präsent sind?

Raulf: Es wird sehr deutlich, dass der Klimawandel auf vielfältige Weise die Bedingungen von Beschäftigten an Arbeitsplätzen beeinflusst. Dabei können die jetzt schon sichtbaren Wirkungen der klimatischen Veränderungen – wie die globale Erwärmung und Extremwetterereignisse – auch die Häufigkeit und Stärke von allergischen Erkrankungen sowie das Infektionsgeschehen an Arbeitsplätzen beeinflussen. Folglich rückt der Klimawandel zentrale Themen im Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in ein neues Licht. Neben den direkten Folgen sind auch die indirekten Folgen des Klimawandels, die unter anderem durch Veränderungen des Arbeits- und Lebensstils oder Anpassungsstrategien entstehen, zu berücksichtigen. Davon betroffen sind viele Beschäftigte.

Sie sprechen das Thema Infektionskrankheiten an. Wird es infolge des Klimawandels auch in Nordeuropa zu erhöhten Infektionsrisiken durch Erreger kommen, die bislang hier noch nicht heimisch waren?

Raulf: Es ist bekannt, dass etwa zwei Drittel aller in Europa aufzufindenden Erreger von Human- und Haustierkrankheiten klimasensibel sind. Faktoren wie höhere Temperaturen, veränderte Niederschlagsmuster und das Verhalten der Menschen können die Häufigkeit und das Neuauftreten von Vektor- und Nagetier-assoziierten Infektionskrankheiten beeinflussen. Globaler Warenhandel, Tourismus und Klimawandel begünstigen zudem die Einschleppung und Ausbreitung neuer Vektoren sowie neuer Vektor-übertragender Infektionserreger. So ist in den kommenden Jahren in Deutschland mit einer geografischen Ausbreitung von Stech- und Sandmückenarten zu rechnen. Die Asiatische Tigermücke, ein möglicher Überträger des Dengue-Virus und des Chikungunya-Virus, ist bereits im gesamten Mittelmeerraum vertreten und in den vergangenen Jahren verzeichnet man auch eine starke Ausbreitung nach Norden; im Breisgau und in Thüringen ist ihr Vorkommen bereits beschrieben.

Welche Beschäftigtengruppen sind davon besonders betroffen?

Raulf: Besonders betroffen sind Personen, die im Freien arbeiten, etwa in der Land- und Forstwirtschaft. Aber auch Beschäftigte in der Transport-, Freizeit- und Tourismusbranche können betroffen sein. Vergessen sollte man auch nicht Erzieherinnen und Erzieher, die sich häufig im Freien aufhalten. Neben Beschäftigten ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch an Kinder, Schülerinnen und Schüler zu denken, die geschützt werden müssen.

Ein weiterer Profiteur des Klimawandels ist eine schon jetzt in Deutschland weitverbreitete Zeckenart, der Gemeine Holzbock. Worin liegt die Ursache?

Raulf: Zecken reagieren stark auf klimatische Einflussfaktoren. Steigende Temperaturen, Hitzeperioden und Extremwetterlagen sowie Veränderungen der relativen Luftfeuchtigkeit führen zu einem früheren Auftreten und einer geografischen Ausbreitung der Zecken gen Norden. Zecken halten normalerweise Winterruhe, doch durch die veränderten Temperaturen kann sich ihre Aktivitätsphase verlängern. Der Gemeine Holzbock ist nicht nur als Überträger der Frühsommer-Meningoenzephalitis und Lymeborreliose bedeutsam. Vielmehr können Zeckenstiche eine Allergie hervorrufen. Dieses durch Zeckenstiche verursachte sogenannte Alpha-Gal-Syndrom macht sich erst beim Verzehr von rotem Fleisch (zum Beispiel Rindfleisch, Wildfleisch) und Innereien bemerkbar. Wir sprechen hier von einer Fleisch-induzierten verzögerten allergischen Reaktion.

Prof. Dr. Monika Raulf, Leiterin des Kompetenz-Zentrums Allergologie/Immunologie des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) | © V. Wiciok, Lichtblick
Prof. Dr. Monika Raulf, Leiterin des Kompetenz-Zentrums Allergologie/Immunologie des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) ©V. Wiciok, Lichtblick

Was können Betriebe und öffentliche Einrichtungen tun, um ihre Beschäftigten zu schützen?

Raulf: Es ist wichtig, ein Problembewusstsein zu schaffen. Präventive Aufklärung kann durch branchenspezifisches und adressatengerechtes Informationsmaterial erreicht werden. Es sollte Informationen zur Vermeidung von Zeckenstichen und zur sofortigen Entfernung von Zecken enthalten. Schutzmaßnahmen vor Zeckenstichen wie das Tragen langer und heller Kleidung, das Abdichten der Hosenbeine sowie das Absuchen nach jedem Aufenthalt in der Natur sowie die richtige Anwendung von chemischen Mückenschutzmitteln können das Erkrankungsrisiko deutlich senken. Außerdem kann die FSME-Virus-Impfung Infektionen effektiv verhindern.

Bereits heute sind rund 23 Millionen Menschen in Deutschland von einer allergischen Erkrankung betroffen. Der Klimawandel wird dies noch weiter verstärken. Worin liegen hier die Ursachen? Gibt es Berufsgruppen, die besonders betroffen sind?

Raulf: Ja, es ist richtig, dass der Klimawandel das Auftreten, die Häufigkeit und Schwere allergischer Erkrankungen beeinflusst. Die klimabedingten Veränderungen zeigen sich besonders ausgeprägt bei den häufigsten Auslösern von allergischen Reaktionen an den Atemwegen, nämlich den in den Pollen enthaltenen Allergenen.

Betrachtet man Allergien im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz, sollten zwei Formen berücksichtigt werden. Auf der einen Seite sind das Beschäftigte mit einer Pollenallergie, deren Beschwerden zu Leistungsminderungen bis hin zu einer Krankschreibung führen können. Zusätzlich können neue Pflanzen mit allergem Potenzial, die ursprünglich aus anderen klimatischen Regionen kommen, die allergische Problematik verstärken.

Auf der anderen Seite gibt es die Berufsallergene. Zu nennen ist der Pilz Cryptostroma corticale. Er ruft bei klimagestressten Ahornbäumen die Rußrindenkrankheit hervor. Beschäftigte können während der Fällung sowie der Be- und Verarbeitung von befallenem Holz gesundheitliche Beschwerden entwickeln.

Während von den verfrühten und verlängerten Blühperioden der Pflanzen und der Einwanderung neuer Pflanzen alle Beschäftigten mit einer Pollenallergie – auch wenn sie überwiegend in Innenräumen arbeiten – betroffen sein können, sind es bei den klimabedingten Berufsallergenen insbesondere Beschäftigte, die im Freien arbeiten.

Wie können Versicherte geschützt werden?

Raulf: Auch hier gilt, Problematik erkennen und Bewusstsein schaffen. Neben branchenspezifischem und adressatengerechtem Informationsmaterial sollten fachliche Fort- und Weiterbildungen angeboten werden. Allergiker und Allergikerinnen sollten unabhängig vom Arbeitsplatz über Möglichkeiten zum Schutz und zur medikamentösen Behandlung informiert und aufgeklärt werden. Natürlich ist auch die Gefährdungsbeurteilung ein gutes Instrument und die Basis für die Einführung von direkten Maßnahmen am Arbeitsplatz entsprechend dem STOP-Prinzip. Insbesondere auf neue Infektionskrankheiten, die durch Stechmücken übertragen werden, müssen wir durch Forschung zu Impfstoffen vorbereitet sein. Maßnahmen im Hinblick auf eine Pandemie sollten auch nach Corona weiterhin ein Thema bleiben.

Neben diesen direkten und indirekten Folgen des Klimawandels gibt es aber auch noch die Folgen von neuen Produktionsweisen, um den Auswirkungen zu begegnen. Können Sie da konkrete Beispiele nennen und welche Auswirkungen diese auf die Arbeitswelt haben?

Raulf: Da sprechen Sie einen Punkt an, den wir nicht außer Acht lassen dürfen. Änderungen des Arbeits- und Lebensstils, die primär einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit leisten sollen, können zu neuen beziehungsweise veränderten Produkten und damit anderen Herstellungsprozessen und Expositionen an den Arbeitsplätzen führen. So werden Enzyme für die Tierfutterernährung produziert, damit das Abwasser weniger durch Phosphatausscheidungen der Tiere belastet wird und so ein positiver Umweltbeitrag geleistet werden kann. Allerdings können bei den Beschäftigten in der Enzymherstellung Allergien entstehen. Ein weiteres Beispiel: Um nachhaltige Nahrungsmittel zu produzieren und den Proteinbedarf zu decken, werden Insekten auch in der Europäischen Union als Lebensmittel zugelassen. Jedoch können Expositionen mit luftgetragenen Insektenpartikeln während der Verarbeitung zu allergischen Atemwegsproblemen bei Beschäftigten führen.

In welchen Bereichen forscht das IPA hierzu schon?

Raulf: Das IPA adressiert das Thema „Klimawandel und Gesundheit am Arbeitsplatz“ auf vielen Ebenen. Dazu gehören die erhöhte UV-Belastung und Hautkrebs. Im Kompetenz-Zentrum Allergologie/Immunologie beschäftigen wir uns mit beruflichen Allergien – von der Aufdeckung der Allergenquelle, dem Nachweis von Sensibilisierungen bis hin zur Expositionsmessung mit Allergenquantifizierung an den Arbeitsplätzen. Auch die durch den Klimawandel bedingten Veränderungen haben wir im Fokus, um das Wissen hinsichtlich Art, Verbreitung und Auswirkung von diesen neuen Allergenen und auch Infektionsquellen zu erweitern. Diese Kenntnisse und diagnostischen Tools, die wir entwickeln, können als Grundlage für die Implementierung von präventiven Maßnahmen dienen.

Gibt es bereits Dienstleistungen des IPA, die Betriebe dabei unterstützen, Allergierisiken zunächst zu erkennen und dann entsprechende Präventionsmaßnahmen zu ergreifen?

Raulf: Um Allergierisiken zu erkennen, ist eine spezifische Diagnostik erforderlich. Hier bieten wir speziell für Berufsallergene eine umfangreiche Palette von Allergenen für den Nachweis von Antikörpern an. In den vergangenen Jahren ist diese Palette durch zahlreiche neue Allergenquellen, die im Zusammenhang mit Klimawandel sowie Produktionsveränderungen in den Betrieben stehen, erweitert worden. Bundesweite Einsendungen zu diesem speziellen Allergiediagnostikangebot im Zusammenhang mit Berufskrankheitenfeststellungsverfahren zeigen, dass hier Bedarf besteht. Wir bieten für die Unfallversicherungsträger Allergenquantifizierungen an belasteten Arbeitsplätzen an. Insbesondere dann, wenn bei Beschäftigten ein Allergieverdacht besteht und/oder wenn die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Minimierung der Allergenexposition geprüft werden soll. Auch hier können wir bedarfsgerecht Unterstützung anbieten. 

Das Interview führte Dr. Monika Zaghow (monika.zaghow@dguv.de).